Die Welt durch die Augen einer Fliege

von Ingrid E. Newkirk, People for the Ethical Treatment of Animals

Der Schlag ging um die ganze Welt: Präsident Obama löste geradezu einen internationalen Skandal aus, als er während eines CNBC Interviews eine Fliege tötete. Ich würde es gern als Zeichen der Zeit sehen, dass das Leben – und der Tod – einer Fliege zumindest für einen kurzen Moment von der Weltöffentlichkeit wahrgenommen wurde.

Ingrid E. Newkirk

Wir könnten nun unendliche Diskussionen darüber führen, wann es gerechtfertigt ist, eine Fliege zu erschlagen oder einen randalierenden Bären zu erschießen. Fakt ist jedoch, dass es da draußen Millionen von Tieren gibt, die uns niemals auch nur einen Moment lang stören oder schaden würden. Haben wir das Recht, ihnen ein furchtbares Leben zu verursachen, nur weil wir uns keine Gedanken darüber machen möchten?

Vor kurzem haben Sir Paul McCartney und seine Tochter Stella ihr Konzept des „Fleischfreien Montags“ vorgestellt, eine Kampagne die zufällig genau den gleichen Namen wie ein Programm von PETA Europe trägt, mit dem wir an britischen Schulen arbeiten. Als Veganerin die vormals mit Freuden das komplette Tierreich verspeiste, von Muscheln bis hin zu Kalbshirn auf Toastbrot, wäre ich froh gewesen, schon viel früher von diesem Konzept zu hören – genau wie ich mir nun auch wünschen würde, es wäre ein Tierrechtler vor Ort gewesen, als ich meinen ersten Pelzmantel trug, um mir ein Kärtchen mit der Aufschrift „Ihr Mantel wurde seinem eigentlichen Besitzer gestohlen“ zu geben. Vor dreißig Jahren war es noch schwer, egal wo man war auf einen „nervigen“ Tierrechtler zu stoßen.

Aber einige Menschen hatten es schon damals raus. Im Jahr 1977 saß ein Mann auf der Anklagebank, der einen Delfin namens Puka aus einem isolierten Laborbecken einer hawaiianischen Universität befreit und vor Maui ins Meer ließ. Der Mann sagte aus, die Einstellung einiger Mitarbeiter des Wissenschaftslabors, wo auch er arbeitete, hätte ihn zu dieser verzweifelten Tat gezwungen, die ihm seine Karriere kostete.
Vor Gericht sagte er: “Mir wurde klar, dass diese Delfine genau wie ich sind. Ich sah zu, wie die Psychologen sie quälten und die Delfine in tiefe Depressionen verfielen. Ihnen wurde alles Natürliche verwehrt, alles, was sie jemals geliebt und gewollt hatten. Ich konnte meine eigene Untätigkeit nicht länger ertragen. Ich werde mit dem traurigen Gefühl ins Gefängnis gehen, dass die Welt noch nicht versteht, was ich tue…“
Seit dem sind einige Jahrzehnte vergangen und unser Verständnis von Tieren hat sich geändert, teilweise sicherlich dank Pionieren wie Dr. Jane Goodall, die den Versuch der Wissenschaft, Tiere nicht zu personalisieren umkehrte und es wagte, den Schimpansenfamilien und Individuen, die sie in Gombe studierte, Namen zu geben; oder Jacques Cousteau, der uns die Tiefseewelten und ihre wunderlichen Bewohner, die Tintenfische, näherbrachte; oder Biruté Galdikas, die uns Videos von jungen Orang-Utans zeigte, wie sie sich Schirme aus Blättern bauten, um sich vor Regen zu schützen; und viele mehr. Woche für Woche gibt es mehr Gründe, Mitgefühl für Tiere zu empfinden. Vor einigen Monaten erreichten uns neue Berichte darüber, dass sich Krabben an den ihnen zugefügten Schmerz erinnern und vor wenigen Wochen erfuhren wir, dass Krähen nicht nur nach Drahtstückchen oder biegsamen Zweigen suchen, sondern auch messen, wie lang diese sein sollten und wo sie sich biegen müssen, um damit Nahrung aus einem Baumstamm oder einem Krug zu holen.

Vor einigen Wochen war ich in England und als ich die Sonntagszeitung las, stieß ich auf einen seltsamen Kommentar eines Hundebetreuers. Ganz im Gegensatz zu den buddhistischen Einstellungen in dieser Sache schrieb er, ein Hund sei eben nur ein Hund – „er wird niemals ein tolles Buch schreiben oder eine herausragende Symphonie komponieren“. Ich bezweifle stark, dass dieser Kolumnist jemals ein Buch schreiben oder eine Symphonie komponieren wird, was ich aber sicher weiß ist, dass er niemals einen Krebstumor mit seiner Nase aufspüren oder seinen Nachhauseweg über hunderte von Kilometern ohne ein Navigationssystem, eine Landkarte, Straßenschild oder den Rat eines anderen Menschen finden wird. Vielleicht ist es genau das, was den Mensch vom Tier unterscheidet – der verzweifelte Versuch des Menschen, immer etwas zu finden, was ihn von anderen Tieren unterscheidet. Und in Rodney Kings „Can’t we all just get along?“ könnte die nächste Frage lauten “Können wir uns nicht alle einfach als Teil eines riesigen Orchesters sehen, wo niemand wichtiger als der andere ist?”.

Ein guter Anfang ist schon der Frühstückstisch. Wie schon Philosoph Peter Singer sagte: „Die meisten Menschen interagieren drei Mal täglich mit Tieren, wenn sie sie essen.“ Obwohl immer mehr Menschen das „Vegetarische Starter Kit“ bei PETA bestellen und es mittlerweile in vielen Läden vegane Kochbücher gibt, ist es doch traurig, wie viele Menschen, die eigentlich großes Mitgefühl besitzen, doch Berichten darüber lesen können, wie intelligent Schweine sind, welche Mutterinstinkte in einer Henne stecken oder wie verspielt ein Lamm ist und es doch nicht mit dem schrecklichen Tierleid in der Massentierhaltung, auf Tiertransporten und in Schlachthöfen in Verbindung bringen, sobald sie den Supermarkt betreten.

Das Tolle daran ist, wie einfach es ist, ein tierfreundliches Leben zu führen. In Supermärkten gibt es veganes Essen, tierfreundliche Bekleidung findet sich in den meisten Läden und auch in Schulen gibt es mittlerweile tolle Alternativen zu Versuchen an Tieren. Medikamente können getestet werden, ohne das man dafür Kaninchen oder Beagle töten muss und viele Formen der Unterhaltung bedienen sich nur noch menschlichen Artisten.

Jedes Tier hat seine eigene Geschichte, eigene Gedanken, Träume und Vorlieben. Sie alle empfinden Freude, Liebe, Schmerz und Angst, wie wir nun zweifellos wissen. Sie alle haben es verdient, dass ihnen das menschliche Tier soviel Respekt entgegenbringt, sich mit Fürsorge um sie zu kümmern oder sie in Frieden zu lassen. Der Traum des Mannes, der vor über 30 Jahren den gequälten Delfin befreite, wird endlich wahr:
Immer mehr Menschen verstehen, dass Tiere ihre eigene Sprache, Musik, Kultur, ihre eigenen Leben haben und dass sie in allen wichtigen Aspekten „genau wie wir“ sind.