In-vitro-Fleisch und Clean Meat: Gibt es Fleisch aus dem Labor?

Viele Menschen, denen Tier- und Klimaschutz wichtig sind, erhoffen sich, dass In-vitro-Fleisch – auch Clean Meat oder Fleisch aus dem Labor genannt – einen Ausweg aus der industrialisierten Tierhaltung darstellen könnte. Ein Stück Fleisch ohne das damit verbundene Tierleid zu produzieren, ohne das Schwänzekupieren, Schnäbelkürzen, Einsperren in Käfigen oder auf dreckigen Spaltenböden, ohne das enorme Leiden bei den Transporten und im Schlachthof, ohne die immense Umweltverschmutzung und Klimabelastung – das wäre wirklich ein riesiger Fortschritt.

Aus diesem Grund hatte PETA USA schon 2008 einen Preis in Höhe von 1 Million Dollar für denjenigen ausgeschrieben, der tierleidfreies Hähnchenfleisch auf den Markt bringt. Obwohl letztendlich niemand den Preis gewinnen konnte, hat die Forschung seitdem enorme Fortschritte verzeichnet. Unternehmen in den USA, den Niederlanden und in Israel befassen sich derzeit mit der Entwicklung von In-vitro-Fleisch.

Vom ersten Konzept bis zur Marktreife

Das „Proof of Concept“, also der Machbarkeitsnachweis, für kultiviertes Fleisch wurde der Öffentlichkeit 2013 vorgestellt. Im August dieses Jahres präsentierte der niederländische Pharmakologe Mark Post von der Universität Maastricht während einer per Livestream übertragenen Pressekonferenz den ersten Burger aus der Petrischale. Für diesen Burger waren Stammzellen von einem Rind entnommen und zu Muskelfasern herangezüchtet worden. Der Preis damals: stolze 250.000 Euro pro Burger. Doch schon 2015 gab das Start-up-Unternehmen Mosa Meat, dessen Mitbegründer und wissenschaftlicher Leiter Mark Post ist, bekannt, dass der Preis auf umgerechnet ca. 70 Euro pro Burger gesenkt werden konnte. (1) Zurzeit liegt er laut Angaben von Mosa Meat bei nur noch rund 9 Euro. (2)

Gemeinsam mit seinem Team arbeitet Post derzeit an der Verfeinerung des Produktionsprozesses, an einer guten Alternative zum fötalen Kälberserum und an der Qualität des Produktes wie auch an der Kosteneffizienz – denn nur, wenn das Fleisch günstig genug sein wird, kann es auch wirklich eine Alternative zu konventionell hergestelltem Fleisch bieten. (3)

In einem Werbespot des amerikanischen Unternehmens Memphis Meats konnte man 2016 bereits ein sehr „echt“ aussehendes Fleischbällchen sehen. Die dafür vermehrten Muskelzellen stammen vor allem von Schweinen und Rindern und sollen ein Produkt garantieren, dass in Geschmack, Struktur und Eigenschaften nicht von konventionellem Fleisch zu unterscheiden ist. Memphis Meats spielt eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung von Geflügelfleisch: 2017 stellte das Unternehmen erstmals Hähnchen- und Entenfleisch aus Zellkulturen vor.

 
Auch das israelische Start-up Supermeat arbeitet zurzeit an der Entwicklung von Fleisch, das Milliarden von Hähnchen das Leben retten könnte. Das Unternehmen hat sogar die Vision, dass Verbraucher das Fleisch für den eigenen Bedarf irgendwann zuhause ganz einfach selbst herstellen können. Damit wäre es möglich, die enorme Lebensmittelverschwendung zumindest teilweise einzudämmen. Anscheinend teilt auch PHW, der Konzern hinter der Marke Wiesenhof, diese Vision: Anfang 2018 investierte die Firma in Supermeat.
 
Sowohl Mosa Meat wie auch Memphis Meats gehen davon aus, dass das erste Fleisch aus „zellularer Landwirtschaft“ Anfang des kommenden Jahrzehnts erhältlich sein wird. (4) Hampton Creek – die Firma hinter der erfolgreichen Mayonnaise-Alternative „Just Mayo“ – hat sogar Pläne bekannt gegeben, nach denen der erste kommerzielle Verkauf bereits Ende 2019 erfolgen soll. (5)

Die Produktion für den Markt wird dann übrigens nicht mehr im Labor stattfinden, sondern vielmehr in einer Art Brauerei, in der das Fleisch in großen Behältern hergestellt wird.

Die Suche nach Alternativen zu fötalem Kälberserum

Eine der größten Herausforderungen in der Forschung zu kultiviertem Fleisch ist die Entwicklung einer Alternative zu fötalem bzw. fetalem Kälberserum. Fötales Kälberserum ist ein Bestandteil von Nährmedien für Zellkulturen sowie Gewebezüchtung und kommt auch bei der Entwicklung von kultiviertem Fleisch zum Einsatz. (6, 7)

Die Gewinnung von fötalem Kälberserum ist jedoch mit großem Tierleid verbunden und entspricht damit natürlich nicht dem Grundgedanken von kultiviertem Fleisch. Einer schwangeren Kuh wird dafür unmittelbar nach der Tötung im Schlachthof der Fötus aus der Gebärmutter geschnitten. Dem lebenden und unbetäubten Kalb wird dann, in der Regel durch einen Stich mit einer Nadel direkt ins Herz, alles Blut entnommen. (8)
 

In-vitro-Fleisch würde viele Tierleben retten.

Diverse Unternehmen haben bereits erklärt, an der Entwicklung eines alternativen, tierfreien Nährmedium aus beispielsweise Pflanzen oder Mikroorganismen zu arbeiten, darunter u. a. New Harvest und Just Meat. (5, 7) Grund sind neben den eindeutigen ethischen Problemen auch Bedenken bezüglich Kontaminierung und der teils nicht konstanten Zusammensetzung. (9) Mosa Meat hat laut eigenen Angaben auch bereits ein funktionierendes serumfreies Medium entwickelt, das jedoch noch optimiert werden muss. Substanzen aus Algen scheinen jedoch vielversprechend. (6, 10) Bei Supermeat kommt offenbar schon heute kein tierisches Serum zum Einsatz. (11)

Auch das PETA International Science Consortium informiert interessierte Verbraucher und vor allem die wissenschaftliche Gemeinschaft über Alternativen zu fötalem Kälberserum.

Wie bereits zuvor erwähnt, besteht ein bedeutendes ethisches Dilemma darin, dass ausgerechnet fötales Kälberserum ein wichtiger Bestandteil des Nährmediums für die Vermehrung von Rinderstammzellen ist. Auf den Seiten der Ärzte gegen Tierversuche e.V. wird der Gewinnungsprozess des Kälberserum etwa wie folgt beschrieben: Unmittelbar nach der Schlachtung werde der schwangeren Kuh der Fötus aus der Gebärmutter geschnitten. Dem noch lebenden Kalb werde mit einer Nadel aus dem noch schlagenden Herzen Blut abgesaugt, bis es blutleer sei. Pro Kalb werde ca. ein halber Liter Blut gewonnen.

Neue Generation von Alternativen auf Pflanzenbasis

Obwohl Clean Meat zum Synonym für Alternativen zu konventionell produziertem Fleisch geworden ist, sind bereits heute weitaus mehr modern produzierte Fleischalternativen erhältlich.
So forschen beispielsweise deutsche Wissenschaftler an Alternativen. 2014 erhielt ein Forscherteam des Fraunhofer-Instituts in Freising den Deutschen Zukunftspreis für ein Verfahren, das erstmalig die Verwendung von Lupinen für die Lebensmittelproduktion möglich macht. Bislang wurde die vielerorts regional angebaute Hülsenfrucht wegen ihres unangenehmen Eigengeschmacks in dem Bereich nicht berücksichtigt. Den Forschern gelang es jedoch, die chemischen Verbindungen, die für das bittere und bohnige Aroma verantwortlich sind, zu erkennen und zu isolieren. Das Ausmaß des Durchbruchs ist im Supermarkt sichtbar: Schon heute sind aus Lupinen hergestellte Drinks, Frischkäse, Jogurts, Eis, Fleischalternativen und Aufstriche problemlos erhältlich.
 

Es gibt unglaublich viele Fleischalternativen für jeden Geschmack.

99 % weniger Platz, 90 % weniger Wasser

In Zukunft werden wir tierische Produkte konsumieren, ohne dass dafür Tiere leiden müssen. Kultiviertes Fleisch ist aber nicht nur eine Riesenchance für Milliarden von Tieren, die dann für den menschlichen Fleisch- und Milchverzehr nicht mehr getötet werden. Hierin liegt auch eine Chance für unser Klima, denn eine Abkehr von der Tierhaltung würde den Planeten wieder aufatmen lassen.

Die Anzahl an Studien zu den Umweltauswirkungen von kultiviertem Fleisch ist bisher noch gering und basiert vor allem auf Annahmen zu zukünftigen Produktionsprozessen. Die Ergebnisse variieren also noch, lassen aber bereits vermuten, dass sich kultiviertes Fleisch vor allem im Vergleich zu Rindfleisch positiv auf die Umwelt auswirken wird. (7) Eine in der Washington Post zitierte Studie geht davon aus, dass die Produktion von kultiviertem Fleisch 99 % weniger Land und ca. 90 % weniger Wasser verbraucht und eine bessere Klimabilanz als jegliche Form der Tierhaltung hat. Diese Produkte werden im Kampf gegen den Klimawandel vermutlich eine entscheidende Rolle spielen. (12)
 
Bekannte Visionäre haben diesen Trend frühzeitig erkannt: Google-Gründer Sergey Brin hat das Team um Mark Post schon 2013 mit 250.000 Euro unterstützt; Bill Gates, der Gründer von Microsoft, fördert sowohl Beyond Meat und Hampton Creek wie auch Impossible Foods. (12) Tyson Foods, eines der größten Schlachtunternehmen der Vereinigten Staaten, hielt von 2016 bis 2019 Anteile an Beyond Meat und investierte Anfang 2018 in Memphis Meats. (14, 15, 16) Somit wird auch in den USA ein Trend sichtbar, der aus Deutschland und anderen Ländern bekannt ist.
 
Schon heute bietet jeder deutsche Supermarkt Alternativen für all jene an, die sich tierleidfrei ernähren wollen.

Was Sie tun können

Zwar wird es noch ein wenig dauern, bis In-vitro-Fleisch auf unseren Tellern landet, aber schon jetzt kann jeder und jede den Tieren helfen. Nehmen Sie an unserem Veganstart-Programm teil und erfahren Sie, wie einfach es ist, tierleidfrei zu leben.