Neozoen: Warum die Jagd auf „invasive Arten“ keine Lösung ist

Einige Tierarten, die ursprünglich aus anderen Regionen der Welt stammen, wurden vom Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen in bestimmte Länder und Kontinente eingeführt. Wenn diese Tiere absichtlich freigelassen oder entkommen sind und sich angesiedelt haben, werden sie als Neozoen bezeichnet. Die Politik, Landwirt:innen, Jäger:innen und sogar einige Medien stellen das Vorkommen dieser Arten oftmals als großes Problem für den Artenschutz dar. Damit soll vor allem deren massenhafte Tötung gerechtfertigt werden.

Tierarten wie Waschbären, Marderhunde und Nilgänse, die 2016 von der EU-Kommission als „invasiv“ stigmatisiert wurden, sind vielerorts einer regelrechten Hetzkampagne ausgesetzt.

Erfahren Sie hier, warum die Tötung der Tiere keine Lösung darstellt, und warum die Problematik viel tiefer liegt.

Inhaltsverzeichnis

Was versteht man unter Neozoen?

Sogenannte Neozoen sind gebietsfremde Tierarten, die vom Menschen aus bestimmten Ländern und Kontinenten in andere Regionen eingeführt wurden und sich in der Natur niedergelassen haben. So sind beispielsweise entkommene oder freigelassene Nachfahren von Waschbären und Amerikanischen Nerzen aus der Pelzindustrie inzwischen in Deutschland heimisch.

Leider werden viele dieser Tierarten von Behörden, Politik und Jäger:innen zu sogenannten „invasiven Arten“ degradiert, da sie angeblich Probleme in unserem Ökosystem verursachen. Hobbyjäger:innen nutzen die Stigmatisierung der Tiere, um die Verfolgung der Tiere zu rechtfertigen: Jagdverbände fordern regelmäßig die unbegrenzte Bejagung von gebietsfremden Tierarten.

Welche Tiere sind Neozoen?

Waschbären aus Nord- und Mittelamerika gehören zu den bekanntesten Tierarten, die ursprünglich aus anderen Ländern und Kontinenten stammen und heute in Deutschland leben. Daneben gibt es zahlreiche andere Tierarten, die in ihrer Heimat eingefangen und nach Europa entführt wurden oder versehentlich mit dem Menschen mitreisten. Allein in Deutschland gelten insgesamt etwa 720 Tierarten als nicht-heimisch, die meisten davon Insekten. Der Großteil von ihnen kann hierzulande nicht dauerhaft überleben. [1]

Waschbaer am Wasser

Was sind Neozoen in Deutschland?

Seit dem Jahr 1492 konnten sich nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz etwa 46 Wirbeltierarten in Deutschland etablieren, das heißt, sie sind hierzulande überlebensfähig und pflanzen sich erfolgreich fort. [1] Sie wurden teils absichtlich oder auch versehentlich eingeführt. Hinzu kommen Dutzende Insekten-, Spinnen- und Krebstierarten und andere Wirbellose. Einige der bekannteren Vertreter sind:

  • Waschbären
  • Nilgänse
  • Marderhunde
  • Nutrias
  • Mufflons
  • Halsbandsittiche
  • Amerikanische Nerze
  • Sikahirsche
  • Ochsenfrösche

Zahlreiche weitere Insekten-, Vogel- und Fischarten wurden vom Menschen nach Deutschland gebracht.

Wie kommt es zu Neozoen?

Seit Jahrhunderten fangen Menschen Tiere in der Natur und verschleppen sie, meist um sie in irgendeiner Form auszubeuten. Im 20. Jahrhundert wurden beispielsweise Tierarten wie Waschbären, Amerikanische Nerze und Nutrias eingeführt, um sie in der Pelzindustrie gefangen zu halten, zu quälen und zu töten.

Wenn Tiere dieser Arten – absichtlich oder versehentlich – aus der Gefangenschaft in natürliche Ökosysteme gelangen und aufgrund von geeigneten Bedingungen in den neuen Gebieten kurz- bis langfristig überlebensfähig sind, gelten sie als Neozoen. Nur die wenigsten Arten können sich dabei dauerhaft ansiedeln und heimisch werden. Viele kommen mit dem Klima, den vorhandenen Tierarten oder dem Nahrungsangebot nicht zurecht und überleben nur kurze Zeit in der Natur.

Was ist die EU-Liste invasiver Arten?

Die „Liste invasiver gebietsfremder Arten von unionsweiter Bedeutung“ wurde erstmals 2016 von der EU-Kommission veröffentlicht. Grundlage ist die EU-Verordnung Nr. 1143/2014 „über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten“.

Die Liste beinhaltet per Stand Oktober 2022 insgesamt 88 Arten, davon 46 Tierarten. Anders als oft von Jäger:innen, teils auch von Behörden und in einigen Medien dargestellt, besteht keine Verpflichtung, diese Tierarten zu töten. Jedes EU-Land kann eigene Umsetzungspläne erstellen, wie es mit den Neubürgern umgeht. Wir von PETA Deutschland kritisieren die Liste, weil die Kennzeichnung als „invasiv“ eine unberechtigte Stigmatisierung darstellt, aus der viele Akteur:innen einen Auftrag zur gnadenlosen Verfolgung der Tierarten ableiten.

Marderhunde

Marderhunde wurden ehemals aus ihrer ostasiatischen Heimat entführt und von russischen Pelzfarmer:innen ausgesetzt. Mittlerweile sind sie vor allem in Ostdeutschland verbreitet. Hierzulande werden die Tiere rücksichtslos gejagt: Über 30.000 der scheuen Familientiere fielen im Jagdjahr 2020/2021 insgesamt der Jagd zum Opfer, [2] obgleich bisher keine bedeutenden negativen Auswirkungen des früchteliebenden Allesessers auf das Ökosystem nachgewiesen wurden.

Amerikanische Nerze flohen von Pelzfarmen

In den 1950er-Jahren flohen eingeführte Amerikanische Nerze aus den winzigen Drahtkäfigen von Pelzfarmen und breiten sich seitdem in Europa aus. [3] Der Europäische Nerz ist in Europa hingegen nur noch selten anzutreffen und gilt als vom Aussterben bedroht.

Pelzjäger:innen und Lebensraumzerstörung dezimierten die Anzahl der Tiere in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erheblich. Dann entkamen die etwas kräftigeren Amerikanischen Nerze ihrer Qualhaltung auf Pelzfarmen und setzten sich in den meisten Regionen durch. Bemerkenswert ist, dass diese Tierart rein aus politischen Gründen nicht auf die EU-Liste invasiver Tierarten aufgenommen wurde, weil dies das Ende für die Pelzfarmen in vielen europäischen Ländern bedeutet hätte.

Neozoen als vermeintliches Problem?

Oft behaupten Behörden, Politiker:innen und Jäger:innen, dass die Tiere erhebliche Probleme verursachen würden. Jagdverbände fordern regelmäßig die unbegrenzte Jagd auf sogenannte invasive Tierarten. Die Auswertung von wissenschaftlichen Untersuchungen zeigt jedoch, dass die Vorwürfe nicht haltbar sind.

So wurden beispielsweise im Jagdjahr 2020/2021 ca. 200.000 Waschbären in Deutschland getötet [4] – meist angeblich zum Schutz bedrohter Arten wie der Sumpfschildkröte. Deren Bestand ist jedoch hauptsächlich durch die menschliche Fischerei-, Land- und Forstwirtschaft und die damit einhergehende fortwährende Zerstörung ihres natürlichen Lebensraumes bedroht. Zudem stellt der Waschbär keine wesentliche Gefahr für die Artenvielfalt dar, da er sich der Regel vornehmlich von leichter Beute wie Regenwürmern, Insekten oder Obst ernährt. [4-6]

Auch andere sogenannte Neozoen wie Damhirsche, Sikahirsche, Mufflons und Nutrias finden in Deutschland keine Ruhe und werden von Jäger:innen zu Zehntausenden – oft auf grausame Weise – getötet.

Der qualvolle Fallenfang, Schusswaffen und auch illegale Tötungsmethoden fügen den Tieren unfassbares Leid zu und haben sich bei dem Versuch, gebietsfremde Tierarten dezimieren zu wollen, zudem langfristig als wirkungslos herausgestellt. Denn viele Wildtierarten reagieren auf hohen Jagddruck mit einer erhöhten Fortpflanzungsrate.

Wissenschaftliche Untersuchungen lassen keine Zweifel aufkommen, dass die Lebensraumzerstörung die mit Abstand größte Ursache für das Artensterben ist. Effektiver Arten- und Naturschutz ist daher in erster Linie durch die Wiederherstellung zusammenhängender natürlicher Lebensräume für Flora und Fauna möglich – und nicht, indem bestimmte Tierarten zum Buhmann für eine verfehlte Landwirtschafts- und Naturschutzpolitik gemacht werden.

Warum die Jagd auf Neozoen unnötig ist und was wir wirklich tun sollten

Nur ein sehr kleiner Anteil aller eingebrachten Tiere ist überhaupt eine Bedrohung für unser Ökosystem, denn nur etwa 10 bis 15 Prozent der eingeschleppten und etablierten Tier- und Pflanzenarten in Deutschland bergen potenziell ein Risiko für die einheimische Tier- und Pflanzenwelt. [7]

Damit eine Art heimische Tier- und Pflanzenarten nicht gefährdet wird, müssen rechtzeitig tierfreundliche Vorkehrungen getroffen werden – anstatt die Neubürger nach ihrer Etablierung massenhaft zu töten. Deshalb fordern wir seit Jahren

  • ein Haltungs-, Import- und Verkaufsverbot für exotische Tiere, die jedes Jahr zu Hunderttausenden nach Deutschland importiert werden.
  • Zudem müssen endlich alle Pelzfarmen für immer verboten werden, denn immer wieder entkommen Amerikanische Nerze und Marderhunde aus den grausamen Drahtkäfigen.

Doch rein aus wirtschaftlichen Gründen setzt die Politik diese sinnvollen Maßnahmen bisher nicht um. Auch Jäger:innen geht es nicht vorrangig um den Artenschutz, sondern um ihr Hobby, das Töten von Tieren. Dies wird auch dadurch deutlich, dass sie vielerorts sogar vor bedrohten Tierarten wie dem Feldhasen und Rebhühnern keinen Halt machen.

Die Jagd als „Lösung“ des angeblichen Problems ist also nur eine fadenscheinige Ausrede. Die beste Lösung ist jedoch, Ökosysteme in Ruhe zu lassen und Wildtiere nicht durch die ganze Welt zu transportieren, um sie auszubeuten.

So können Sie Waschbären und anderen eingeschleppten Tierarten helfen

  • Wenden Sie sich an den Landtagsabgeordneten Ihres Wahlkreises und bitten Sie höflich, sich für den Schutz der Waschbären auf Landesebene einzusetzen.
  • Grundstücks- und Waldbesitzer:innen in Deutschland können die Jagd auf ihrem Privatbesitz verbieten.
  • Unterschreiben Sie unsere Petition an die EU-Kommission, Waschbären von der Liste „invasiver“ Tierarten zu streichen.