Tierliebe oder Tierquälerei: Ist es okay, auf Pferden zu reiten?

Pferd und Mensch können als Freunde gemeinsam durch dick und dünn gehen. Die intelligenten Tiere bauen enge Bindungen mit ihrer Bezugsperson auf, wenn jeder Kontakt auf Respekt und Verständnis beruht. Viele Menschen möchten gerne reiten und besuchen eine der bundesweit rund 6.100 Reitschulen, um auf einem der 65.000 sogenannten Schulpferde das Reiten zu lernen. [1, 2] Laut einer Studie bezeichnen sich 2,32 Millionen Menschen als Reiter [3] – Deutschland zählt damit zu den Ländern, in denen der Reitsport sehr beliebt ist. Aber: Müssen Menschen Pferde reiten, „um etwas mit Pferden zu machen“? Und ist es überhaupt in Ordnung, auf Pferden zu reiten?

Probleme im Umgang mit Pferden

Nicht nur im Turnier-, auch im Freizeitsport werden täglich hunderttausende Pferde geritten. Rund 600.000 Haushalte in Deutschland halten ein eigenes Pferd, 920.000 Haushalte haben eine sogenannte Reitbeteiligung. [3] Hinzu kommen unzählige weitere Profi- und Turnier-Reiter, Reitschüler, Freizeit- und Gelegenheitsreiter. Wer sich für Pferde interessiert, geht reiten – und genau das ist das Problem.

Reiten ist nicht die Antwort auf „etwas mit Pferden machen“, denn Reiten kann dem Pferd körperlich und psychisch schaden. Viele Pferde werden von uns Menschen ausgebeutet und als Sportgeräte missbraucht, und dies nicht nur im Turniersport. Auch im Freizeitbereich stellen einige sogenannte Pferdefreunde die eigenen Interessen oft über die des Pferdes. Dabei sollten die Bedürfnisse der Tiere im Mittelpunkt stehen.

frau reitet ein pferd

Falsche Belastung hat schmerzhafte Folgen

Reiten bedeutet, dass ein Mensch entscheidet, sich auf den Rücken eines Pferdes oder Ponys zu setzen. Wie bei allen Wirbeltieren besteht dieser aus einem komplexen und empfindlichen Gebilde aus Wirbeln, Bandscheiben, Bänder, Sehnen und Muskulatur. Wer die individuellen Bedürfnisse eines Pferdes nicht kennt, kann darauf nicht eingehen und seinem Pferd großen Schaden zufügen. Durch Reiten im falschen Sitz, großes Gewicht oder unnatürliche Bewegungen können beispielsweise Rückenerkrankungen wie „Kissing Spines“ hervorrufen. Dabei berühren sich die Dornfortsätze, die in der Wirbelsäule sitzen, und es kommt zu schmerzhaften Entzündungen. [4] Auch die Bilder von brutalen Rollkuren, in denen der Reiter den Kopf eines Pferdes per Zügel in eine unnatürliche Haltung zieht, sind spätestens seit dem „Wunderpferd“ Totilas bei Reitern und Nicht-Reitern bekannt. Die schweren Auswirkungen von Rollkuren sind wissenschaftlich untersucht und bewiesen: Es kommt zu Veränderungen und Schmerzen im Hals-Nacken-Bereich, Beeinträchtigung der Atmung sowie Stress und Angst. [5]

pferd mit dem kopf nach unten gerichtet

Aufzeichnungen von Pferden, die beim Springreiten vor und über Hindernisse geprügelt werden und denen so heftig über den Zügel im Gebiss im Maul gezogen wird, dass ihre Augen weit offenstehen, sind ebenfalls keine Seltenheit. Auch in den meisten Reitschulen oder bei Hobbyreitern ist das Leid der Pferde immer wieder zu beobachten: Zum Beispiel durch Reiter, die permanent gegen den empfindlichen Bauch der Pferde klopfen oder sich an den Zügeln festhalten, was für die Tiere sehr schmerzhaft sein kann. Auch sogenannten Hilfsmittel wie Stoßzügel, bei denen der Kopf über den Sattelgurt zum Gebiss ausgebunden wird, sind gefährlich und tierquälerisch. Diese Bilder gibt es sowohl bei sogenannten Einsteigern als auch bei Fortgeschrittenen und Profireitern.

Wieso werden Pferde überhaupt geritten?

Pferde sind Lauftiere. Sie bewegen sich in freier Umgebung ungefähr 16 Stunden am Tag [6]. Dabei laufen sie selten sehr lange Strecken am Stück, sondern bewegen sich beispielsweise beim Grasen schrittweise nach vorne. Auch für domestizierte Pferde ist Bewegung essenziell – denn ohne regelmäßige Laufmöglichkeiten werden die Tiere nachweislich krank. Nicht auszureichende Bewegung führen zu Schäden am Bewegungsapparat wie Arthrose. [7] Auch die Atemwege und der Verdauungsmechanismus leiden bei zu langem Stehen. Folgen können hier unter anderem Koliken sein, die im schlimmsten Fall zum Tod des Tieres führen können.

Darüber hinaus entwickeln Pferde Verhaltensstörungen, wenn sie nicht ausreichend beschäftigt werden. Beispiele dieser Störungen sind unterer anderem das Koppen, bei dem das Pferd zwanghaft durch Beißen in z. B. Futtertröge oder Balken Luft schluckt und eine Form des Stressabbaus ist. [8] Eine weitere Verhaltensstörung ist das Weben, bei dem das Pferd seinen Kopf permanent hin- und herschwingt, von einem Bein auf das andere tritt und auf den Vorderbeinen weit auseinander steht. [9]

Viele Menschen denken vielleicht, Reiten wäre die einzige Option, das Pferd ausreichend zu beschäftigen und damit auszulasten. Tatsächlich gibt es zahlreiche Alternativen zum Reiten. Damit kann man dem Pferd sowohl auf körperlicher als auch auf geistiger Ebene gerecht werden. Und es macht riesigen Spaß!

frau und pferd

Alternativen zum Reiten

Spaziergänge durch Wälder, Wiesen und Felder

Die unterschiedlichen Untergründe tun dem Bewegungsapparat von Mensch und Tier gut, denn hier werden unterschiedliche Muskelgruppen beansprucht und gefördert. Der gemeinsame Spaziergang festigt die Bindung zwischen Pferd und Mensch. Kleinere Übungen, wie gemeinsames Stehenbleiben, verstärkt die gegenseitige Achtsamkeit.

Freiarbeit

Freiarbeit fördert die Bindung und das Vertrauen. Hier reagiert das Pferd auf nonverbale Kommunikation mit seinem Menschen. Man bewegt sich gemeinsam mit dem Pferd, und am Boden werden unterschiedliche Gangarten oder auch Richtungswechsel durchgeführt. Bei der Freiarbeit verzichtet man auf Ausrüstung wie Strick oder Longe, so dass sich das Pferd frei bewegen kann. Daher sollte die Freiarbeit immer in eingegrenzten Bereichen erfolgen.

Geschicklichkeitsparcours vom Boden aus

Hier werden Übungen ausgeführt, die sowohl für die Muskulatur als auch für den Kopf der Tiere wichtig sind und ihnen viel Spaß machen. Für den Einstieg kann hier mit Halfter und Führstrick vom Boden gearbeitet werden. Kleinere Hindernisse oder am Boden liegende Stangen zum Beispiel fördern die Geschicklichkeit und auch das Zusammensein von Mensch und Pferd. Wichtig ist, dass die Pferde weder geistig noch körperlich überfordert und mit Ruhe, Belohnung und positiver Verstärkung motiviert werden – denn Pferde sind nicht dazu da, uns zu unterhalten.

frau zeigt einem pferd einen großen Ball

So können Sie Pferden helfen

Pferde dürfen niemals als Sportgeräte missbraucht oder zu unnatürlichen Bewegungen gezwungen werden. Leistungsdruck auf Turnieren oder schlechte Behandlung durch fehlendes Wissen oder Empathie müssen endlich aufhören.

Und hier kann jeder Pferdefreund helfen: Wer mit offenen Augen durch den Stall geht und schlechte Behandlungen, unnatürliche Haltung oder Quälereien offen anspricht, kann viel bewirken. Wir können uns mit den Pferden in unserer Obhut verbinden und eine sinnvolle und für beide Seiten vorteilhafte Beziehung zu diesen sensiblen Tieren haben, ohne auf sie zu steigen.