Warum Wildseide, Peace Silk und Co. keine tierfreundlichen Alternativen sind

Für die Produktion von Seide werden jedes Jahr schätzungsweise 1,6 Billionen lebende Tiere durch Verbrühen oder Vergasen in ihren Kokons getötet. [1] Glücklicherweise wollen immer mehr Menschen für ihre Kleidung oder Bettwäsche kein Tierleid mehr verursachen, denn sie haben erkannt, dass auch wirbellose Tiere das Recht auf Schutz vor Schmerz und Leid haben.

Als Reaktion darauf bieten viele Geschäfte statt konventioneller Seide vermehrt Produkte wie „Wildseide“, „Ahimsa-Seide“ oder „Peace Silk“ an. Sie vermarkten diese Erzeugnisse als „tierfreundliche“ oder „ökologische“ Alternative, für die angeblich kein Tier getötet wird. Hier erfahren Sie, was sich wirklich hinter diesen Begriffen versteckt und warum Tiere auch für diese Art der Seidenproduktion leiden.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Wildseide?

Die Begriffe Ahimsa-Seide und Wildseide werden häufig miteinander gleichgesetzt, obwohl sie nur in Ausnahmefällen Gemeinsamkeiten haben. Bei Wildseide handelt es sich in erster Linie um Seide von nicht-domestizierten Seidenspinnern, die meist im Freiland gezüchtet werden. Hierfür können viele unterschiedliche Arten eingesetzt werden. In den meisten Fällen wird unter dem Begriff Wildseide die Tussar- bzw. Tussah-Seide des Seidenspinners der Gattung Antheraea gehandelt.

Wie wird Wildseide hergestellt?

Die Erzeugung von Wildseide erfolgt fast immer durch kontrollierte Zucht im Freiland. Je nach Produktionsland werden einzelne Produktionsschritte sogar in Innenräumen durchgeführt. Wie die Herstellung von herkömmlicher Seide stellt auch die Produktion von Wildseide in den meisten Fällen eine Form der Massentierhaltung dar. Aus diesem Grund verbreiten sich Krankheiten wie Flacherie schnell unter den Tieren und können ganze Bestände töten.[4]

Ein Großteil der vermarkteten Wildseide ist deutlich weniger „wild“, als der Begriff vermuten lässt. Statt domestizierter Tiere werden hierbei Wildtiere ausgebeutet. Wie in der konventionellen Seidenproduktion werden die Seidenspinner auch hier durch Hitze getötet. Wildseide kann nach den Prinzipien der Ahimsa-Seide hergestellt werden, bei der die Tiere angeblich nicht in ihren Kokons getötet werden. [4]

Seidenkokons werden gekocht im Wasser
Ob Wildseide oder konventionell: Raupen werden lebendig im Kokon gekocht.

Was ist Eri-Seide?

Auch Eri-Seide wird als Wildseide vermarktet. Dabei stammt Eri-Seide in vielen Fällen vom domestizierten Seidenspinner Samia ricinii. Wilde Formen der Eri-Seidenraupe kommen eher selten zum Einsatz. Der Eri-Spinner baut von Natur aus eine Öffnung in seinen Kokon ein, durch die er als Schmetterling schlüpfen kann, ohne den Faden zu durchtrennen. Daher gehen viele Menschen bei Eri-Seide davon aus, dass dem Tier kein Leid zugefügt wird. In vielen Regionen werden die Puppen jedoch als Delikatesse für den menschlichen Verzehr gehandelt und ebenfalls getötet. Zudem werden einige Tiere frühzeitig von Hand aus dem Kokon hervorgeholt, um eine Verschmutzung des Garns zu vermeiden. Denn während des Verlassens ihres Kokons scheiden die Falter eine bräunliche Flüssigkeit, das sogenannte Mekonium, aus, das den Wert der Seide mindert und die Reinigung erschwert.

Da die Produktion von Seide sehr kleinteilig ist und die Faser häufig von vielen einzelnen Familien produziert wird, ist es fast unmöglich zu kontrollieren, ob die Tiere in den Kokons tatsächlich leben durften oder eben doch durch Hitze getötet, frühzeitig aus ihren Kokons entfernt oder gar verzehrt wurden.

Was sind Ahimsa-Seide und Peace Silk?

Für Ahimsa-Seide werden in den meisten Fällen dieselben Seidenspinner wie in der herkömmlichen Seidenproduktion gezüchtet. Größtenteils handelt es sich um Maulbeerseide, Eri-Seide oder sogenannte Tussar-Seide.

Der Begriff Ahimsa stammt aus dem indischen Sprachraum und bedeutet „Gewaltlosigkeit“. Produzierende Betriebe versprechen, dass für Ahimsa-Seide keine Tiere getötet werden und dass die Seidenraupe ihre Verwandlung von der Puppe zum Falter vollenden darf, ohne lebend verbrüht zu werden. Beim Verlassen ihres Kokons erzeugen die Falter jedoch ein Loch, das den endlosen Seidenfaden an zahlreichen Stellen durchtrennt. Dieser Qualitätsverlust der Seide wird in Kauf genommen, um sie als Ahimsa-Seide bzw. Peace Silk zu vermarkten. Manche Hersteller:innen schneiden die Puppen aber auch frühzeitig aus dem Kokon heraus, um zu verhindern, dass die Tiere ihn mit dem bereits erwähnten Mekonium verschmutzen. [2] Wenn das Tier beim Herausschneiden noch nicht weit genug entwickelt ist, hat es keine Chance, zu überleben. Zudem besteht die Gefahr, die Tiere beim Öffnen des Kokons zu verletzen oder zu töten.

Seidenkokons
Manche Hersteller:innen schneiden Puppen frühzeitig aus dem Kokon heraus. Dabei kann es passieren, dass die Tiere getötet werden.

Aufgrund der durchtrennten Seide entsteht pro Kokon deutlich weniger Seide als bei der konventionellen Produktion, und diese muss aufwändig gesponnen werden. Dadurch werden für die Herstellung von Ahimsa-Seide bis zu sechsmal so viele Tiere ausgebeutet wie für dieselbe Menge an konventioneller Seide. [3] Damit wird offensichtlich, dass die Tiere auch bei diesem System verlieren.

Die Folgen der Überzüchtung des Seidenspinners

In den meisten Fällen handelt es sich bei Ahimsa-Seide nicht um eine Form der Wildseide, sondern um die Ausbeutung domestizierter Arten, insbesondere des Bombyx mori. [5] Selbst wenn das Tier vor dem Hitzetod bewahrt wird, stirbt es in der Regel nach seiner Verwandlung zum Schmetterling. Jahrtausende der Überzüchtung haben dafür gesorgt, dass der Bombyx mori flugunfähig ist und somit kaum Überlebenschancen hat.

Eine weitere Folge der Überzüchtung ist die enorme Anfälligkeit vieler Seidenspinner für Krankheiten und Parasitenbefall. Unabhängig von der Tierart ist der Krankheitsdruck durch die massenhafte Zucht auf kleinster Fläche deutlich höher als in der Natur. Dadurch erkranken je nach Land und Region 10 bis 47 Prozent aller Seidenspinner und sterben oftmals einen langsamen und grausamen Tod. [6] Diese zuchtbedingten Grausamkeiten lassen sich auch bei Ahimsa-Seide nicht ausschließen und führen zum breitflächigen Einsatz von Desinfektionsmitteln.

Getötet im Namen der „Qualitätskontrolle“ – auch für Ahimsa-Seide

In der Seidenproduktion werden sogenannte Qualitätskontrollen durchgeführt – unabhängig davon, ob für die Herstellung von Ahimsa-Seide wild lebende oder domestizierte Seidenspinner gewählt wurden. Hierfür werden weibliche Tiere und ein Teil ihrer Eiablage lebend zerquetscht oder zerstückelt, um sie anschließend unter dem Mikroskop auf Krankheiten zu untersuchen. Sobald ein Tier Viren, Bakterien oder Parasiten aufweist, werden zum Teil ganze Kolonien oder zumindest der gesamte Nachwuchs des zerquetschten Muttertieres getötet und entsorgt. [6, 7, 8]

Ebenfalls bedenklich ist die Frage, wie all die geschlüpften Seidenspinner bei der Produktion von Ahimsa-Seide versorgt werden sollen. Viele Insekten haben sehr spezifische Ansprüche an ihren Lebensraum und können nicht „einfach so“ irgendwo überleben, wenn man sie in die Freiheit entlässt.

Seidenraupen
Sollten die Tiere bei der „Qualitäts­kontrolle“ Krankheiten aufweisen, werden teilweise ganze Kolonien getötet.

Seiden-Lotterie: Keine Klarheit für Konsument:innen

Auf welche Weise Ahimsa-Seide letztendlich produziert wurde, kontrolliert in der Regel niemand, und hinter dem Begriff können sich viele unterschiedliche Praktiken verstecken. Der größte Verfechter von Ahimsa-Seide ist Kusuma Rajaiah, ein ehemaliger Regierungsbeamter aus dem indischen Bundesstaat Andhra Pradesh. Er besitzt das Copyright sowie die Rechte am Logo und Trademark für „Ahimsa Silk“. Dennoch wird die Seide überwiegend unreguliert produziert und gehandelt: [2]

  • Einige Produzent:innen verwenden Qualzuchten, andere nutzen Wildtiere.
  • Manche lassen die Falter eigenständig aus den Kokons schlüpfen, andere schneiden sie von Hand heraus.
  • Auch der Einsatz von Chemikalien bei der Seidenverarbeitung oder von Pestiziden beim Anbau der Futtermittel ist komplett unreguliert. Einige Hersteller setzen auf die volle Chemiekeule, während andere ökologischere Verfahren bevorzugen.
  • Die Tiere können sowohl im Freiland wie auch in sterilen Räumen gezüchtet werden.

Konsument:innen können meist nur raten, wie viel „Gewaltfreiheit“ und „Nachhaltigkeit“ wirklich hinter den einzelnen Produkten versteckt.

Aber auch zertifizierte Seide, die bis zu den Zuchtbetrieben rückverfolgt werden kann und nach klaren Regeln produziert wird, ändert nichts daran, dass für die Herstellung von Seide immer Lebewesen ausgebeutet werden – mit allen negativen Folgen der massenhaften Zucht von Tieren für Menschen, Tiere und die Natur.

Die Herstellung tierischer Seide entspringt einer speziesistischen Denkweise

Es ist völlig gleich, wie und wo Seide produziert wird und ob die Tiere ihre Kokons lebend verlassen dürfen oder in ihnen verbrüht werden: Die Erzeugung von Seide beruht immer auf der Ausbeutung fühlender Lebewesen. Auch Insekten sind Teil unseres Planeten. Wir Menschen haben kein Recht, sie in Qualzuchten zu verwandeln, wie leblose Objekte zu vermehren und Handel mit ihnen zu betreiben.

Die Entscheidung, Tiere zu nutzen, um menschliche Bekleidung herzustellen, beruht auf einer speziesistischen Denkweise. Hierbei stellt sich der Mensch über andere fühlende Lebewesen und kategorisiert sie nach ihrem vermeintlichen Nutzen für seine Zwecke.

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Greifen Sie auf tierfreundliche Materialien zurück

Die Einführung von „besseren Haltungsbedingungen“ oder „Tierschutzlabeln“ verzögert häufig nur die Entwicklung tierfreier Innovationen. Wir können Tieren viel effizienter helfen, wenn wir auf die große Vielfalt an veganen Alternativen zurückgreifen, die es heute gibt, und indem wir die Entwicklung neuer Innovationen fördern.

Lassen Sie daher nicht nur konventionelle Seide, sondern auch Ahimsa-Seide und Wildseide im Regal liegen, und greifen Sie stattdessen zu Viskose, Pima-Baumwolle oder Lyocell-Fasern wie Modal oder Tencel.