Leder aus Indien: So leiden „heilige Kühe“ für indisches Leder

Indien gilt als das „Land der heiligen Kühe“. In den meisten Landesteilen ist es nicht nur verpönt, sondern auch gesetzlich verboten, Rinder zu töten und zu essen. Gleichzeitig exportiert Indien jedes Jahr Lederwaren und Rindfleisch im Wert von Hunderten Milliarden Euro und beheimatet die weltweit größte Milchindustrie. [1,2] Was paradox klingt, ist es auch.

In diesem Beitrag erfahren Sie alles über das Leid der vermeintlich „heiligen Kühe“ für Leder aus Indien.

Inhalte im Überblick

Leder aus Indien als Millionengeschäft für deutschen Handel

Neben China, Italien, Frankreich und Vietnam ist Indien einer der größten Lederexporteure der Welt – und versorgt dabei auch in Deutschland verkaufte Modemarken mit Tierhäuten. 2021 hat Deutschland insgesamt Lederwaren im Wert von rund 238 Millionen Euro aus Indien importiert. [3] Diese Zahlen verdeutlichen, wie wertvoll die Rinderhäute für Gerbereien und lederverarbeitende Betriebe letztendlich sind.

Ein importierter Lederschuh aus Asien kostet im Einkauf durchschnittlich 14 Euro. Im deutschen Schuhhandel werden Lederschuhmodelle häufig für 100 Euro und mehr verkauft, damit Schuhmarken und Händler:innen ihre Gewinne erzielen. [4] So finanziert der Lederhandel und -kauf das blutige Geschäft in den weltweiten Schlachthäusern mit.

Generell sind bei der Lederkennzeichnung keine Angaben über die Tierart, das Herkunftsland des Tieres noch Informationen über die benutzten Chemikalien eines Lederproduktes vorgeschrieben. Auch Siegel wie „Made in Germany” beziehen sich ausschließlich auf den Ort der Lederverarbeitung. Ein Lederwarenhersteller aus Deutschland, der Leder aus Asien oder Indien verarbeitet, hat das Recht, „Made in Germany” auf seine Etiketten zu drucken. Wer Lederprodukte kauft, riskiert daher immer, sich mit der Haut qualvoll getöteter und misshandelter Tiere zu schmücken.

Heiliger Flickenteppich: Die Gesetzeslage in Indien

Im Gegensatz zu gängigen Vorstellungen gelten nicht alle Kühe in Indien als schützenswert. Grundsätzlich wird zwischen einheimischen Rindern, „Kreuzungen“ sowie ausländischen Arten wie Jersey- und Friesian-Holstein-Rindern und Büffeln unterschieden. Erstere zählen als „rein“, rituell wertvoll und dürfen dem hinduistischen Mehrheitsglauben folgend nicht getötet werden. Im Gegensatz hierzu gelten sogenannte Kreuzungen und ausländische Tierarten als minderwertig. Den niedrigsten Status nehmen die Wasserbüffel ein – diese gelten als „verachtenswerte Tiere“ und sind rituell bedeutungslos. Mit diesen willkürlichen Kategorisierungen legimitieren gläubige Hindu-Aktivist:innen und selbsternannte Kuhschützer:innen das Tötungsverbot von einigen, aber die millionenfache Tötung anderer Rinder. [5] Obwohl es im großen Stil stattfindet, exportiert Indien kein einziges Kilo Rind-, sondern ausschließlich Büffelfleisch. [6]

Doch selbst unter den „heiligen Kühen“ gibt es von Region zu Region Unterschiede in der Heiligkeit. Da es kein national greifendes Gesetz bezüglich der Haltung und Tötung von Rindern gibt, haben die meisten Bundesstaaten und Unionsterritorien eigene Regularien entwickelt. Welche Tierarten vom Tötungsverbot betroffen sind, unterscheidet sich teils stark und ist abhängig von lokalen Rechtsbegriffen und Definitionen. Die Folge sind ungleiche Gesetze bezüglich des Transports und den Transportbedingungen, der Strafen für illegale Tötungen und dem Verkauf und Besitz von Rindfleisch. So kann es in einem Bundesstaat erlaubt sein, Kälber zu töten – da diese nicht durch entsprechende Regeln explizit geschützt sind –, während das Schlachten der Tierbabys in einem anderen Landesteil mit langen Haftstrafen geahndet wird. In Tamil Nadu wird das Töten von Kühen beispielsweise mit bis zu 7 Jahren Haft bestraft, in Bundesstaaten wie Meghalaya existieren de facto keine Regularien. Insgesamt ist die Gesetzeslage sehr unübersichtlich. [7,8]

PETA India und Animal Rahat setzen sich seit Jahren gegen die Quälerei der sanftmütigen und sozialen Tiere ein, da die bestehenden Gesetze häufig nicht kontrolliert werden und viele Menschen das indische Tierschutzgesetz darum schlicht ignorieren.

Leere Versprechungen und Grundsatzprobleme

Besonders seit der Regierungsübernahme der nationalistisch-hinduistischen Regierung unter Narendra Modi verschärften in den vergangenen Jahren viele Bundesstaaten und Unionsterritorien öffentlichkeitswirksam ihre Gesetze zum Schutz der Tiere. Trotzdem besserte sich für die Kühe so gut wie nichts. Die Grundsatzprobleme bleiben bestehen. So lehnen viele Menschen das Töten von gewissen Kühen aus religiösen Gründen zwar ab, aber sprechen sich nicht gegen die Ausbeutung selbiger für Milch, Butter oder Joghurt aus. Im Gegenteil: Die Nachfrage nach den Tierqualprodukten ist mittlerweile so hoch, dass Indien der größte Milchproduzent der Welt ist. [1,9]

Ausgesetzte Rinder werden dem Hungertod überlassen

Dieser Widerspruch – aus Gesetzen, die das Töten einiger Rinder unter härtere Strafen stellen und der umfassenden legalen Tierausbeutung für die Milchindustrie – führt zwangsläufig zu Problemen. Viele Halter:innen bringen die Tiere zwar nicht mehr in Schlachthäuser, setzen sie aber stattdessen einfach aus und überlassen sie dem Hungertod. Betroffen sind vor allem männliche, kranke sowie ältere weibliche Tiere, da diese nicht als rentabel gelten. Oft werden die schutzlos Ausgesetzten auch von organisierten illegalen Banden eingesammelt und zu illegalen Schlachthäusern transportiert. Dort wird ihnen oft ohne Betäubung die Kehle aufgeschnitten und die Haut vom Körper gezogen.

Mittlerweile geht man von über 5 Millionen streunenden Rindern in ganz Indien aus. Viele von ihnen sind in einem schlechten Gesundheitszustand, abgemagert und haben infizierte Wunden. Oft werden sie beim Herumirren von Fahrzeugen oder Zügen angefahren. Auf ihrer verzweifelten Suche nach Nahrung durchbrechen die Rinder Zäune, essen Plastikmüll und grasen Getreidefelder ab. Manchmal attackieren die ausgehungerten Tiere in Panik dabei auch Menschen.

Über das Leid der streunenden Rinder/Tiere wird zwar viel gesprochen in Indien, jedoch wenig getan. Spendenfinanzierte „Kuhauffangstationen“, in denen „heilige Tiere“ bis zu ihrem Tod gepflegt werden sollen, sollen das Problem lösen, sind aber häufig hoffnungslos überfüllt und unterfinanziert. Von der Regierung erhalten die überforderten Pflegeheime wenig bis gar keine Unterstützung. [10]

Drei abgemagerte Kuehe mit verletzten Hinterbeinen.
Viele der ausgesetzten Kühe sind in einem erbärmlichen Gesundheitszustand.

Illegale Schlachthäuser operieren weiterhin

Obwohl Regelungen zum Betrieb illegaler Schlachthöfe vielerorts verschärft wurden, ist unbekannt, wie groß der Effekt der Maßnahmen wirklich ist. Klar ist: Illegale Schlachthäuser operieren weiterhin. Im Juli 2022 lehnte der oberste indische Gerichtshof zudem in einer Richtungsentscheidung eine Klage zum Verbot illegaler Schlachthöfe in Delhi und angrenzenden Gebieten unter fadenscheinigen Begründungen ab. [11]

PETA Indien konnten gemeinsam mit dem Filmemacher Manfred Karremann belegen, wie Rinder, Büffel, Schafe und Ziegen im indischen Lederhandel systematisch gequält werden. Das Bildmaterial zeigt unter anderem, welche unhygienischen und gefährlichen Bedingungen in den Schlachtbetrieben vorherrschen. Die Tiere werden auf Transportern zum Schlachthaus befördert, die so überladen sind, dass sie sich mit ihren spitzen Hörnern und Hufen teils schwer verletzen. Viele von ihnen sterben schon während der Fahrt. Anschließend werden sie von Mitarbeitenden gewaltvoll in Schlachthäuser gezerrt, deren Böden mit Ausscheidungen, Blut, Eingeweiden und Urin bedeckt sind. Dort wird ihnen vor den Augen ihrer Artgenossen häufig mit dreckigen, stumpfen Messern die Kehle aufgeschnitten. Einige Tiere werden sogar bei vollem Bewusstsein gehäutet und zerlegt.

Person fesselt die Beine einer Kuh, die mit aufgeschlitzter Kehle blutend am Boden liegt.
Viele Tiere sind nicht betäubt, wenn ihnen die Kehle im Schlachthaus durchgeschnitten wird.

Zudem verschmutzen die Schlachtbetriebe die Umwelt. Hochgradig kontaminierte Abfälle werden häufig ohne Rücksicht auf die Natur oder in der Gegend Menschen und andere Tiere in Flüssen, Böden und Bächen entsorgt. Neben dem Abwasser verpesten die Schlachtanlagen ihre Umgebung mit Gestank und Lärm. [12, 13]

Blühender Schmuggel an der Grenze zwischen Indien und Bangladesch

Der illegale Transport von Rindern über die mehr als 4.000 Kilometer lange Grenze zwischen Indien und Bangladesch ist seit jeher ein großes Thema. Um indische Schlacht- und Verkaufsverbote zu umgehen, werden seit Jahrzehnten jeden Tag Zehntausende Tiere nach Bangladesch gebracht. Im Gegensatz zu seinem Nachbarland ist das Töten von Rindern in Bangladesch weitgehend unreguliert möglich. Meist erfolgt die Schlachtung per Hand, ohne Betäubung und unter unhygienischen Bedingungen. [14]

Den Tieren wird auf den Märkten vor dem Verkauf literweise Wasser eingeflößt, damit ihre Körper praller wirken und für mehr Geld verkauft werden können. Auch Kühe und viel zu junge Kälber werden entgegen den Gesetzen an Händler:innen verkauft und auf überfüllte Lastwagen zum Schlachthaus gepfercht. [15] Dies führt häufig dazu, dass die Tiere übereinander fallen, aufeinander treten oder sich gegenseitig mit den Hörnern verletzen. Rindern, die auf Fußmärschen zusammenbrechen, wird zum Teil Chili in die Augen gerieben, sie werden mit Stöcken geschlagen oder ihnen wird der Schwanz gebrochen, damit sie wieder aufstehen.

Diverse abgemagerte Kuehe stehen eng aneinander auf einer Ladeflaeche eines Transporters.
Dicht an dicht gedrängt stehen die Tiere auf überladenen Transportern und verletzten sich dabei oft gegenseitig.
Foto: PETA / Karremann
Kuh liegt am Boden und eine Person bindet ihr einen Strick um die Hoerner.
Die Tiere sind teils so erschöpft, dass sie kaum mehr aus eigener Kraft aufstehen können.
Foto: PETA / Karremann
Kuh mit Chilisamen im traenenden Auge.
Um die völlig erschöpften Tiere zum Weitergehen zu zwingen, reiben manche Arbeiter:innen ihnen Chilis oder Tabak in die Augen.
Foto: PETA / Karremann
Person trichtert einer Kuh gewaltsam Wasser-Reis-Gemisch aus einer Flasche ein.
Vor dem Verkauf auf dem Markt wird den Tieren gewaltsam Wasser und Reis eingetrichtert, um sie schwerer zu machen.
Foto: PETA / Karremann

Mauern aus Backsteinen, zwei Meter hohe – teils elektrifizierte – Zäune, Stolperdraht, Wachtürme und Zehntausende Grenzwächter:innen sollten den Schmuggel eindämmen. Diese „Grenzschutzmaßnahmen“, die man bereits in den 1990er Jahren plante, wurden unter Modi noch weiter verschärft. In der Praxis werden jedoch nach wie vor jährlich Millionen von Tieren nach Bangladesch illegal über die Grenze geschleust. Gefälschte Importpapiere sowie korrupte Grenzschützer:innen, Beamt:innen, Soldat:innen und Politiker:innen verhindern eine effektive Eindämmung des illegalen Handels. Zudem ist eine lückenlose Kontrolle und Wartung der Sicherheitsanlagen schon allein aufgrund der Grenzlänge, kreuzender Flüsse, Bäche und Felder sowie geteilten Siedlungen und Dörfern unmöglich. [16, 17]

Daneben haben Schmuggler:innen zusätzlich neue, grausame Transportmöglichkeiten entwickelt. Indiens Grenzschutztruppen berichten, dass die Köpfe von Rindern beispielsweise wie eine Art Schwimmflügel zwischen zwei Bananenstämme geklemmt und zusammengebunden werden. Daraufhin werden die Tiere ins Wasser gestoßen, von wo aus die Strömung sie auf die andere Seite des Fluss tragen soll. Die Angst der Tiere und die Gefahr zu ertrinken, interessiert die Händler:innen offensichtlich nicht.[18]

So helfen Sie Tieren im indischen Lederhandel

Am besten helfen Sie den Tieren, wenn Sie sich für eine tierfreundliche Lebensweise entscheiden. Denn all diese Qualen erleiden die Tiere nur, weil Menschen aus veralteter Gewohnheit und Unwissenheit handeln – und weil die Tierindustrie damit jährlich Milliarden verdient. Keines dieser Tiere müsste geboren und vom Menschen ausgebeutet werden.

Sie bestimmen mit jedem Einkauf, ob Sie dieses Tierleid unterstützen wollen. Entscheiden Sie sich für tierleidfreie vegane Lederalternativen und gehen Sie so auf Nummer sicher, dass kein Lebewesen qualvoll für Kleidung missbraucht und getötet wird. Informieren Sie andere über die Grausamkeiten, welche die Tiere erleiden müssen, und bitten Sie sie, von Fleisch, Milch und Leder Abstand zu nehmen.