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Warum werden Tierversuche in der Forschung durchgeführt?
Grundsätzlich liegt das Ziel der Forschung darin, neues Wissen zu generieren – was, für sich gesehen, durchaus ein erstrebenswertes Ziel ist. Sind jedoch Tierversuche involviert, geschieht das leider auf Kosten fühlender Lebewesen. In der Forschung können Tierversuche im Bereich der Grundlagenforschung stattfinden, aber auch zur Entwicklung neuer Medikamente oder neuer Technologien, wie beispielsweise für die Raumfahrt. Oftmals sind die Ergebnisse jedoch irrelevant oder nicht auf den Menschen übertragbar – neues Wissen mit dem Leid von Tieren aufzuwiegen, ist zudem ethisch nicht zu rechtfertigen.
Machen Tierversuche Sinn?
Macht es Sinn, Tiere in Laboren gefangen zu halten und sie künstlich krank oder beispielsweise taub zu machen, sie ersticken zu lassen oder Verhaltensexperimenten auszusetzen und anschließend zu töten und aufzuschneiden – einfach um zu wissen, was passiert? Neue Erkenntnisse sind oft wertvoll – doch der Missbrauch von Tieren im Namen der Forschung ist dafür nicht nötig und damit moralisch nicht zu rechtfertigen.Hinzu kommt: Tierversuche können Reaktionen beim Menschen nicht verlässlich vorhersagen. Die physiologischen Unterschiede zwischen verschiedenen Spezies sind einfach zu groß, als dass sich die Ergebnisse zuverlässig auf den Menschen übertragen ließen – dies wird durch immer mehr Daten belegt. Selbst bei Mäusen und Ratten wirken Substanzen oft komplett unterschiedlich [1, 2] – verständlich also, dass der Unterschied zum Menschen ebenfalls riesig ist. Es ist schlichtweg nicht möglich, mittels Tierversuchen sichere Schlussfolgerungen für den Menschen zu ziehen. Tierversuche sind nicht nur grausam, sondern auch unwissenschaftlich und oft sogar gefährlich.
Grundlagenforschung
Die Hälfte aller Tierversuche in Deutschland findet im Bereich der Grundlagenforschung statt [3] – das bedeutet, ohne direkt anwendungsorientiert zu sein. Forschung zum Selbstzweck also, aus „wissenschaftlicher“ Neugier heraus. Mit ihr soll das allgemeine medizinische und naturwissenschaftliche Wissen vermehrt werden. Neugier als Antrieb dafür, neues Wissen zu schaffen, ist grundsätzlich nicht verwerflich – wenn darunter Lebewesen leiden, allerdings schon.

Medizinische Forschung
Medizinische Forschung kann sowohl im Bereich der Grundlagen- als auch der angewandten Forschung stattfinden. Während bei der Grundlagenforschung erlangte Erkenntnisse fast nie zu einer Anwendung beim Menschen führen [8, 9] und der direkte Nutzen solcher Tierversuche für den Menschen nicht nachweisbar ist [10], ist die angewandte medizinische Forschung dem Einsatz beim Menschen nahezu direkt vorgelagert. Hier soll beispielsweise die Wirksamkeit von Medikamenten getestet werden.
Trotzdem werden bei Tieren künstlich Schlaganfälle herbeigeführt, ihre Gene werden manipuliert und sie werden dadurch künstlich krankgemacht, sie werden geklont oder ihnen werden Krebszellen implantiert. Dabei sind die Misserfolgsquoten enorm: Für Alzheimer [11] und Krebs [12] liegt die Misserfolgsrate für die Zulassung neuer Medikamente bei 96,6 %. Im Fall der Schlaganfall-Forschung sogar bei einer unglaublichen Misserfolgsquote von 100 % bei 1.000 neuen, an Tieren getesteten Wirkstoffen und 100 klinischen Studien [13, 14].
Beispielsweise wird seit den 1980er-Jahren an Hunden geforscht, um eine Heilmethode für Muskeldystrophie (MD) zu finden. Die Hunde, denen gezielt lähmende Muskelerkrankungen angezüchtet wurden, können nur unter großer Anstrengung gehen, schlucken und atmen. Sie sterben schließlich an den Folgen. Doch selbst Jahrzehnte dieser Forschung mit missbrauchten Hunden haben noch keine Heilungs- oder Therapiemöglichkeit für Menschen mit dieser schrecklichen Krankheit hervorgebracht – die künstlich erzeugte Muskelerkrankung der Hunde ist schlichtweg nicht mit MD beim Menschen vergleichbar: Eine Analyse von Studien zu MD an Hunden hat gezeigt, dass eine Übertragung der Ergebnisse auf den Menschen problematisch ist. Einige Studien kommen beim Menschen sogar zu völlig entgegengesetzten Ergebnissen. Es gibt zudem bessere Möglichkeiten, Patienten mit MD zu helfen: Verschiedene innovative, humanrelevante Techniken haben bereits zur Entwicklung vielversprechender Therapien geführt.

Tierversuchsfreie Methoden
Pluripotente Stammzellen eröffnen viele Möglichkeiten: In Zellkulturen können so menschliche Gewebe kultiviert werden. Beispielweise ist es Biotechnologen gelungen, aus menschlichen Stammzellen voll funktionierende Blutgefäße zu kultivieren. Die einen Millimeter großen Kapillargebilde ermöglichen erstmals die Erforschung von Erkrankungen der Blutgefäße direkt an menschlichem Gewebe. Somit gibt es für u. a. für Diabetiker die Hoffnung auf neue, wirksame Medikamente!Auch durch sogenannte Organoide konnten schon Erfolge erzielt werden. Organoide sind aus menschlichen Zellen gezüchtete Organe im Mini-Format. Beispielsweise konnten Wissenschaftler durch die Nutzung sogenannter Hirn-Organoide eine potenzielle Ursache für tödliche Hirnmissbildungen finden, die durch eine seltene genetische Störung ausgelöst werden. Die als Miller-Dieker-Syndrom bekannte Störung war zuvor bereits erfolglos an Mäusen erforscht worden. [16]

In-silico-Verfahren können beispielsweise die menschliche Biologie und das Fortschreiten sich entwickelnder Krankheiten simulieren [17]. Diese ausgeklügelten computergestützten Techniken können etwa vorhersagen, wie neue Medikamente im menschlichen Körper reagieren [18].
Zudem wird personalisierte Medizin immer mehr in den Fokus rücken: Die Wirkung von Medikamenten unterscheidet sich oft selbst von Person zu Person. Deswegen lässt sich nur schwer voraussagen, ob ein Medikament einem bestimmten Patienten tatsächlich hilft oder vielleicht sogar zu unerwünschten Nebenwirkungen führt. In Zukunft könnte durch die Analyse der kompletten DNA ein „digitaler Zwilling“ angelegt werden, um geplante Behandlungen durchzuspielen. Auch die oben genannten Beispiele wie Zellkulturen, Organoide oder Multiorganchips lassen sich personalisieren.
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Die Zukunft ist tierversuchsfrei
Es ist längst überfällig, dass wir uns von Tierversuchen ab- und uns humanrelevanten, tierfreien Methoden zuwenden. In vielen Bereichen gibt es zahlreiche tierfreie Methoden: Einige sind bereits erfolgreich im Einsatz, andere weit entwickelte und vielversprechende Ansätze müssen endlich mit ausreichend Fördergeldern präzisiert und einsatzfähig gemacht werden.
Es ist an der Zeit, den weltweiten Vorreitern zu folgen und uns endlich kraftvoll den effizienten und modernen tierversuchsfreien Testmethoden zuzuwenden. Damit können relevante und zuverlässigere Ergebnisse erzielt werden, ohne weiterhin furchtbares Leid zu verursachen.
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Quellen
[1] Gottmann, E., 2001: Data Quality in Predictive Toxicology: Reproducibility of Rodent Carcinogenicity Experiments. Environmental Health Perspectives, vol. 109, pp. 509-514.
[2] Hartung, T., 2009: Toxicology for the twenty-first century. Nature, vol. 460, pp. 208-212.
[3] BMEL: Verwendung von Versuchstieren im Jahr 2017. https://www.bmel.de/DE/Tier/Tierschutz/_texte/TierschutzTierforschung.html
[4] Stüttgen, M.C. et al., 2008: Responses of rat trigeminal ganglion neurons to longitudinal whisker stimulation. Journal of Neurophysiology, vol. 100, pp. 1879-1884.
[5] Reinhold, A.S. et al., 2019: Behavioral and neural correlates of hide-and-seek in rats. Science, vol. 365, pp. 1180–1183.
[6] Lomazzo, E. et al., 2017: Chronic stress leads to epigenetic dysregulation in the neuropeptide-Y and cannabinoid CB1 receptor genes in the mouse cingulate cortex. Neuropharmacology, vol. 113, pp. 301–313
[7] Lomazzo, E. et al., 2015: Therapeutic Potential of Inhibitors of Endocannabinoid Degradation for the Treatment of Stress-Related Hyperalgesia in an Animal Model of Chronic Pain. Neuropsychopharmacology, vol. 40, pp. 488–501
[8] Chalmers, I. et al., 2014: How to increase value and reduce waste when research priorities are set. The Lancet, vol. 383, issue 9912, pp. 156–165.
[9] Pound, P. & M.B. Bracken, 2014: Is animal research sufficiently evidence based to be a cornerstone of biomedical research? British Medical Journal, vol. 348.
[10] Pound, P. et al., 2004: Where is the evidence that animal research benefits humans? British Medical Journal, vol. 328, pp. 514-517.
[11] Freedman, L.P. et al., 2015: The economics of reproducibility in preclinical research. PLoS Biology, vol. 13, no. 6.
[12] Collins, F.S. & L.A Tabak, 2014: Policy: NIH plans to enhance reproducibility. Nature, vol. 505, no. 7485, pp. 612-613.
[13] Roth, S. & A. Liesz, 2016: Stroke research at the crossroads – where are we heading? Swiss medical weekly, vol. 146.
[14] Kikuchi, K. et al., 2014: Clinical trials in acute ischemic stroke. CNS drugs, vol. 28, no. 10, pp. 929-938.
[15] http://www.drze.de/im-blickpunkt/tierversuche-in-der-forschung/module/poliomyelitis-kinderlaehmung
[16] Bershteyn, M. et al., 2017: Human iPSC-Derived Cerebral Organoids Model Cellular Features of Lissencephaly and Reveal Prolonged Mitosis of Outer Radial Glia. Cell Stem Cell, vol. 20, no. 4, pp. 435-449.
[17] Aguda, B.D. et al., 2011: An In Silico Modeling Approach to Understanding the Dynamics of Sarcoidosis. PLoS One, vol. 6, issue 5, e19544
[18] Martonen, T. et al., 2003: In silico modeling of asthma. Advanced Drug Delivery Reviews, vol. 55, issue 7, pp. 829-849